von Ralf Tiemann
Iserlohn. Auch die großen Kirchenchöre legen angesichts der Omikron-Variante ein Pause ein
Theorie und Wirklichkeit können schon mal weit auseinandergehen – gerade in der Pandemie, wenn sich das Sicherheitsgefühl nicht mit den geltenden Bestimmungen deckt und eine Eigendynamik entwickelt. Vor allem in der Iserlohner Chorszene können davon viele ein Lied singen.
Proben sind derzeit grundsätzlich erlaubt, die Kontaktbeschränkungen auf lediglich zehn Personen gelten nur im privaten Rahmen. Chöre dürfen sich also treffen, insofern sie die 2G-Plus-Regel einhalten, wobei dies hier in NRW die Booster-Impfung ähnlich wie beim Hallensport nicht ersetzt. Wer also singen möchte, muss doppelt geimpft oder genesen sein und zusätzlich ein offizielles und aktuelles Schnelltest-Ergebnis mitbringen. Dann steht einer Probe nichts im Wege.
Soweit die Theorie, die Praxis sieht anders aus. Denn die allermeisten Chöre singen derzeit nicht. Sogar die beiden Iserlohner Kantoren Hanns-Peter Springer und Tobias Leschke – die in der Advents- und Weihnachtszeit noch frisch vorangeschritten sind, dabei deutlich weiter gegangen sind als die meisten anderen Chöre und vieles noch ermöglicht haben, was andernorts längst abgesagt worden war – legen nun mit ihren Kirchenchören erst einmal eine Pause ein. „Momentan ist das einfach nicht machbar“, sagt Tobias Leschke, der im Januar gerne wieder zu seinem großen nachweihnachtlichen Chorprojekt Projektchor „A ceremony of nine lessons and carols“ eingeladen hätte, das aber nun abgesagt hat. „Die Zahlen explodieren und die Absagen häufen sich“, sagt er. Viertelstündlich riefen die Leute an um sich abzumelden, von einstmals 60 angemeldeten Sängerinnen und Sängern waren gestern noch rund 30 übrig. „Es ist besser, momentan nichts zu machen“, sagt der katholische Kirchenmusiker und setzt vorerst auch die wöchentlichen Proben seiner festen Chöre aus.
Zwickmühle zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Im Gespräch bestätigt er den Eindruck, dass man sich als Chorleiter geradezu in einer Zwickmühle befinde. Natürlich will man so viel wie möglich realisieren und das Erlaubte ausreizen. Wer aber seine Proben und Projekte durchzieht, kann auch schnell Kopfschütteln ernten. Der Wunsch nach Abstand sei derzeit bei vielen größer als der Wunsch zu singen.
Das empfindet Hanns-Peter Springer ganz ähnlich, der vor Weihnachten konzertant mit der Evangelischen Kantorei oder in Form von Offenem Singen mit der Gemeinde noch sehr aktiv war, nun aber auch die Präsenzproben erst einmal aussetzt. „Omikron ist derart ansteckend und macht auch vor der Booster-Impfung nicht Halt“, sagt er. Und auch wenn die Verläufe größtenteils nur leicht seien, möchte er das Lutherhaus bei den Proben nicht zum Ansteckungsherd machen. Nach Weihnachten sei der Informationsfluss noch nicht wieder in Gang gekommen, mit vielen Kollegen habe er noch nicht sprechen können und auch von der Landeskirche gebe es noch keine Maßgabe. Für sich habe er aber entschieden, zunächst zu pausieren und abzuwarten. Auch das weitere Vorgehen in der Kinder- und Jugendkantorei sei noch unklar. An diesem Mittwoch sind die Kinderchöre als Sternsinger in der Innenstadt unterwegs, um in einem ganz neuen Format einen „Segen to go“ zu spenden. Wie es danach weitergeht, wird sich dann zeigen.
Gerade mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen und dem hohen Wert für die Bildung hatte die Landeskirche die Kirchenmusiker vor Weihnachten noch sehr beflügelt und ermuntert, weiterzumachen. Und gerne blicken die Iserlohner Kirchenmusiker auf diese Zeit zurück. In der katholischen Aloysius-Kirche hatte es bekanntlich ein Konzert mit dem Kammerchor des Pastoralverbundes und einen Heilig-Abend-Festgottesdienst mit viel Chorgesang gegeben. „Das war wunderschön“, sagt Tobias Leschke. Unter den gegebenen Umständen habe man das beste herausgeholt. Und auch Hans-Peter Springer behält die Adventszeit mit vielen Auftritten und Aktionen in der zugigen Obersten Stadtkirche oder unter freiem Himmel in guter Erinnerung.
„Dass wir das hatten, war ein Lichtblick und offenes Portal, das nicht nur die Mängel, sondern die Möglichkeiten gezeigt hat“, sagt er. Und das auch für die Zukunft positiv stimme. Derzeit fühle man sich von Omikron zwar geradezu überrannt. Auf lange Sicht habe er aber große Hoffnungen, dass es wieder bergauf geht.