von Ralf Tiemann
Iserlohn. Die Chöre der Kantorei und der Musica Sacra führen am zweiten Weihnachtstag das Werk gemeinsam in St. Aloysius in Iserlohn auf.
Überbordender Weihnachtsjubel klingt aus dem Saal des Pankratius-Forums. Aus 80 Kehlen erklingt der berühmte Chor aus Bachs Weihnachtsoratorium „Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen“. Kantor Tobias Leschke steht am Notenpult und geht bereits in die Feinheiten dieses mächtigen, fugenartig angelegten Stückes: frische, präzise Einsätze, klare Intonation und die richtigen Atemzäsuren, damit die langgezogenen, perlenden Koloraturen das Publikum am zweiten Weihnachtstag mit genau der Weihnachtsfreude anstecken, wie Bach sie schon 1734 bei der Uraufführung vor Ohren hatte.
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Dabei ist es gerade diese ansteckende Freude, die man den Iserlohner Sängerinnen und Sängern gar nicht erst einimpfen muss. Jedem ist bewusst, dass er gerade bei einem ganz besonderen Projekt dabei ist, und die Freude darüber, dass hier etwas Neues und Großes entsteht, war am vergangenen Probenwochenende allgegenwärtig. Erstmals in der Geschichte der Stadt haben sich die Chöre der evangelischen Kantorei und der katholischen Musica Sacra zusammengetan, um dieses Monument der barocken Kirchenmusik gemeinsam zum Klingen zu bringen.
Hanns-Peter Springer: „Wir setzen hier gerade sicherlich Maßstäbe für die Zukunft“
„Wir setzen hier gerade sicherlich Maßstäbe für die Zukunft“, ordnet Hanns-Peter Springer, Leiter der evangelischen Kantorei an der Obersten Stadtkirche, das Projekt ein. Mit seiner Frau Ute Springer arbeitet er bereits seit mehr als 20 Jahren sehr aktiv an einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit seinen katholischen Kollegen an der Aloysius-Kirche und ist in Sachen Ökumene in Iserlohn oftmals vorangeschritten. Er nimmt eine ungeheure Offenheit und Bereitschaft auf beiden Seiten wahr. „Das machen wir doch jetzt öfter, oder?“, laute die typische Reaktion aus den Reihen der Teilnehmer.
Auch Tobias Leschke, Leiter der katholischen Musica Sacra, ist begeistert von dem, was gerade passiert – nicht nur musikalisch, sondern auch stimmungsmäßig auf der sozialen Ebene zwischen den katholischen und evangelischen Chören. „Jauchzet frohlocket, auf singet ihr Chöre“, heißt es da in dem berühmten Anfangschor. Und das muss man den vielen höchst motivierten Sängerinnen und Sängern nicht zwei Mal sagen.
Tobias Leschke: „Einen besseren Nach-Corona-Start kann man sich gar nicht wünschen“
Vor fünf Jahren hatte es bereits eine erste Weihnachts-Kooperation gegeben. 2017 hatten sich die Kantorei und die Musica Sacra – damals noch unter der Leitung von Christopher Brauckmann – ergänzt, um nacheinander alle sechs Teile des Weihnachtsoratoriums in Iserlohn an den beiden Kirchen aufzuführen. Nun sei aber die Zeit reif gewesen, um sich richtig zusammenzutun, sagt Tobias Leschke. Schon sehr früh sei bei den gemeinsamen Planungen klar gewesen, dass beide Seiten nach Corona die ersten drei Teile des Oratoriums singen wollen. Die renovierungsbedingte Schließung der Obersten Stadtkirche habe dann zusätzlich die Weichen gestellt, so dass die Kirchenmusiker in Iserlohns Innenstadt ihre Kräfte zusammengelegt haben.
Beteiligt sind das „Collegium Vocale“ und der Kammerchor an St. Aloysius katholischerseits sowie die Kantorei Iserlohn und der „Junge Chor 5nach5“ von evangelischer Seite und ergeben einen großen und prachtvollen Chor mit rein Iserlohner Stimmen, wie man ihn lange nicht in der Innenstadt gehört hat.
Jeder der drei Kirchenmusiker dirigiert einen Oratoriums-Teil
Ute Springer dirigiert den ersten Teil, Hanns-Peter Springer den zweiten und Tobias Leschke den dritten. „Einen besseren Nach-Corona-Start kann man sich gar nicht wünschen“, sagt Leschke.
Eine Selbstverständlichkeit ist eine solche Kooperation nach wie vor nicht. Letztlich treffen hier ja auch zwei immer noch sehr unterschiedliche musikalische Traditionen aufeinander. Für die evangelischen Chöre gehört Bachs „WO“ sozusagen zur natürlichen DNA – ein alljährlich wiederkehrender Höhepunkt. In der Kantorei gibt es erfahrene Sänger, die das Werk ohne Übertreibung schon an die 60 Mal gesungen haben. Für die meisten Katholiken ist es hingegen gänzlich neu. Bestes Beispiel dafür ist Tobias Leschke selbst, der das Weihnachtsoratorium bisher nur aus dem Studium kannte und nun erstmals direkt daran beteiligt ist.
Das macht das Projekt ebenso spannend wie die Zusammensetzung der Generationen. Die „5nach5er“ machen größtenteils erstmals Bekanntschaft mit der barocken Klangwelt, die jungen Männer des Chores singen erstmals im Bass, man lernt voneinander, und auch das weckt eine große Begeisterung für die Musik. „Es kommt vieles zusammen“, sagt Hanns-Peter Springer, der mit seinen Sängerinnen und Sängern auch erstmals in dem riesigen und mächtig nachhallenden Raum der Aloysius-Kirche singen wird – Neuland, wo man nur hinschaut.
Freier Eintritt in die geheizte Aloysius-Kirche
„Alles das macht etwas mit uns“, sagt Springer, und meint auch und vor allem diese erhebende und alles überstrahlende Musik mit ihrer starken Aussage. Sich als Christ hinzustellen und diesen unbändigen Weihnachtsjubel freudig und selbstbewusst hinauszurufen – auch das sei heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Genau darauf darf sich das Publikum am zweiten Weihnachtstag aber freuen. Ab 17 Uhr werden die ersten drei Teile am 26. Dezember in der geheizten Aloysius-Kirche erklingen. Als Solisten wirken Merle Bader (Sopran), Anna Kristina Naechster (Alt), Leonhard Reso (Tenor) und Andreas Elias Post (Bass) mit. Begleitet werden Chor und Solisten vom „Ensemble Ghiribizzo“, mit dem Tobias Leschke schon öfter zusammengearbeitet hat. Der Eintritt – auch das ist neu – ist frei. Durch erhebliche Zuschüsse des Bistums Paderborn, der Stadt Iserlohn und der Sparkasse Iserlohn bleibt nur eine kleine Lücke bei der Finanzierung der Aufführung, die durch eine Kollekte am Ausgang gefüllt werden soll. Es gibt also keinen Vorverkauf und keine Platzreservierungen: Alle sind eingeladen, einfach zu kommen und sich anstecken zu lassen.